Letzte Woche veröffentlichte Spiegel Online den Artikel „Bewerbung: Auslandserfahrung ist Personalern unwichtig“. Darin wird aus dem vierteljährlich vom Ifo-Institut im Auftrag von Randstadt erstellten Flexindex zitiert[1] . Das Ifo-Institut hatte dafür Personaler unter anderem auch nach der Bedeutung verschiedener Aspekte für der Personalauswahl gefragt und diese auf einer vierstufigen Skala (von wichtig bis unwichtig) bewerten lassen. Auslandserfahrung belegte den letzten von sechs Plätzen.
Soweit, so gut, so nichtssagend!
Diese Aussage sagt über die Bedeutung von Auslandserfahrung für die Auswahlentscheidung erst einmal gar nichts. Schließlich hängt es von der zu besetzenden Stelle ab und dem Kontext des Unternehmens ab, ob Auslandserfahrung entscheidungsrelevant ist oder nicht. Ob die Studie danach differenziert hat, geht aus dem Artikel nicht hervor.
Entscheidend ist aber die implizite Aussage über das Verständnis von Personalauswahl – bei den Autoren des Artikels, vermutlich bei den Autoren der Studie und leider auch bei sehr vielen Personalern (da ist das HR-Bashing in den Kommentaren wohl zumindest zum Teil berechtigt). Besonders deutlich wird das im nächsten Absatz:
„Auch wenn es dann ins Finale der Bewerbung geht, wird Auslandserfahrung am häufigsten als unwichtig bewertet. Die größte Bedeutung für die Entscheidung hat ein persönliches Gespräch mit dem Bewerber – darauf setzen glatt 100 Prozent, also alle Befragten.“
Hier werden also offenbar die Auslandserfahrung des Bewerbers und das Vorstellungsgespräch in einen Topf geworfen und in ihrer Bedeutung für die Auswahlentscheidung verglichen. Beides sind aber zwei grundverschiedene Komponenten des Entscheidungsprozesses. Dass diese munter miteinander vermischt werden (sowohl von den Entscheidern selbst als auch in der (wissenschaftlichen) Auseinandersetzung damit), führt leider dazu, dass am Ende oftmals die Qualität der Entscheidung leidet!
Kriterien, Prädiktoren und Methoden – Komponenten der Personalauswahl
Im Wesentlichen geht es bei der Personalauswahl um eine Vorhersage der zukünftigen Arbeitsleistung. Die kann ich auf unterschiedliche Weise (und stellenbezogen!) operationalisieren, das sind dann die Kriterien.
Da ich die künftige Leistung zum Zeitpunkt der Entscheidung natürlich noch nicht kenne, muss ich aus bekannten Informationen auf sie schließen. Diese nennt man gemeinhin Prädiktoren und die Frage, ob ein Prädiktor das Kriterium gut oder schlecht vorhersagen kann, ist die Validität.
Schließlich habe ich dann noch (gute und schlechte) Methoden, mit denen ich die Prädiktoren erhebe.
Am konkreten Beispiel
Im Fall der Studie wäre das Entscheidungskriterium vielleicht interkulturelle Kompetenz oder Sprachkenntnisse. Die erste Frage ist dann, ob dieses Kriterium für die künftige Aufgabe überhaupt wichtig ist.
Die zweite Frage ist dann, was mir denn diese interkulturelle Kompetenz oder die Sprachkenntnisse vorhersagen kann. Hier kommt jetzt die Auslandserfahrung ins Spiel. Das könnte ein Prädiktor dafür sein.
Und schließlich ist die Frage, wie ich diese Auslandserfahrung erkennen oder messen will. Das kann über eine Lebenslaufanalyse, in einem unstrukturierten oder einem strukturierten Interview oder auch einem Assessment Center geschehen.
Damit hat die Aussage „wichtiger als Auslandserfahrung ist das persönliche Gespräch und dabei zählt vor allem Persönlichkeit“ ungefähr die gleiche Aussagekraft wie „wichtiger als die Äpfel ist die Waage, vor allem wenn ich damit Birnen wiege“!
Was lehrt uns das ganze? Tipps für eine bessere Personalauswahl
An erster Stelle muss die Frage stehen, welche Kriterien wirklich zur Messung der beruflichen Leistung und des Erfolgs dienen können. Das ist nämlich stellenbezogen und wenn die Stückzahl pro Zeitarbeit bei einem Akkordarbeiter vielleicht ein probates Kriterium ist, kann es bei einem Herzchirurgen fatale Folgen haben. Und auch sprachliche oder interkulturelle Kompetenz ist nicht bei jeder stelle gleich relevant. Schon dieser Schritt wird bei vielen Auswahlentscheidungen sträflich vernachlässigt und deshalb finden sich in vielen Stellenanzeigen auch absolut allgemeine und nichtssagende Anforderungen ohne wirklichen Stellenbezug.
Die zweite Frage ist, welche Prädiktoren ich heranziehe und mit welchen Methoden ich diese erheben will. Hier zeigt die Studie – in einer sehr langen Tradition – in großes Problem. Das (unstrukturierte) Interview wird von den Entscheidern als beliebteste Methode angesehen (von Bewerbern übrigens auch), hat aber leider keine besonders hohe Validität.[2] Der Mensch unterliegt bei seiner Entscheidungsfindung einfach zu vielen Verzerrungen und Irrationalitäten. Diese klingen ja im Artikel auch an, wenn es heißt: „Dabei [im persönlichen Gespräch] zählen vor allem Sympathie und Persönlichkeit der Kandidaten.“
Jetzt sollte Sympathie nicht vollständig außer Acht gelassen werden, schließlich muss ein Mitarbeiter auch ins Team und zum Unternehmen passen, aber die Gefahr ist, dass dieser Aspekt überbewertet wird und am Ende der sympathischste und nicht der bestgeeignete Bewerber gewählt wird.
Auch der Aspekt der kulturellen Passung ist von immer größerer Bedeutung, aber dazu haben sowohl Christoph Athanas als auch Jo Diercks in letzter Zeit schon genug geschrieben.
Und wenn sich HR und Fachbereich gemeinsam saubere Gedanken darüber gemacht haben, was für die künftige berufliche Leistung wichtig ist, wie das ganze gemessen und erhoben werden soll und wie die unterschiedlichen Kandidaten sauber miteinander verglichen werden können, dann kann bei der Personalauswahl nicht mehr viel schief gehen – und vor einer AGG-Klage braucht man dann auch keine Angst mehr zu haben.
Wer noch mehr darüber lesen möchte (z. B. vielleicht weil er beim Ifo-Institut regelmäßig solche Umfragen entwickelt), der wird hier fündig.