Das Jahr 2016 starte ich mit einem kleinen Rückblick auf 2015. Ich hatte mir vorgenommen, deutlich mehr Bücher zu lesen als in den Vorjahren – konkret: mindestens 20. Das habe ich erreicht, die Zahl der gelesenen Bücher hat mehr als verdoppelt! Daher ist es jetzt Zeit für einen Rückblick auf die (Fach-)Bücher, die mich 2015 am meisten beeindruckt haben.
Natürlich ist hier kein Platz für eine umfassende Rezension aller Titel – aber ich möchte euch in einem kurzen Überblick an meinen Leseerfahrungen teilhaben lassen und Anregungen für das neue Lesejahr geben.
Was kann HR von Lean, Agile und New Work lernen?
Klar, 2015 war das Jahr, in dem Personaler auf die digitale Transformation trafen und bei mir steht das Thema auch ganz oben auf der Liste. Mein Top-Buch in 2015 ist daher The Lean StartUp von Eric Ries (2011). Ries vertritt in seinem Buch einen neuen Ansatz von Entrepreneurship, der sehr quantitativ geprägt ist und eine wissenschaftliche Herangehensweise an Geschäftskonzepte und Unternehmensgründung fordert.
In der Grundidee soll der Gründer bzw. das Gründerteam das Geschäftsmodell auf der Basis von Hypothesen über Kundenwünsche bzw. Kundenverhalten entwickeln, diese Hypothesen sehr schnell mit einem „Minimum Viable Product“, also einer Art Prototyp des Produktes testen und dann das Produkt bzw. Konzept so anpassen, dass sich die Gründung der bestmöglichen Erfüllung der Kundenwünsche iterativ nähert. Mich beeindruckt an diesem Ansatz einerseits die systematisch-wissenschaftliche Vorgehensweise und andererseits der Abschied vom Glauben an den Start mit dem perfekten Produkt.
Ich bin sicher, dass auch HR-Projekte davon profitieren können, wenn dabei a) noch viel stärker von den Kundenbedürfnissen her gedacht wird und b) Projekte agiler und iterativer umgesetzt werden. Warum nicht mal eine HR-Lösung wie ein Beurteilungsystem mit einem Minimum Viable Product an den Start bringen und es dann auf Basis des Kundenverhaltens sukzessive optimieren? Die Kunden würden es vermutlich dankbar annehmen. Für das kommende Jahr stehen in der Fortsetzung dieses Gedanken schon einige weitere Bücher auf der Liste.
Auf Platz 2 meiner Top-Sachbücher in diesem Jahr steht mit ganz knappem Abstand Reinventing Organisations von Frederic Laloux (2014). Laloux beschreit darin, wie sich Organisationsformen im Laufe der Zeit gewandelt haben und welcher gesellschaftliche Reifegrad den jeweiligen organisationalen Evolutionsstufen entspricht.
Im Anschluss daran stellt er das Konzept der evolutionären Teal-Organisation vor, die für ihn die derzeit höchste Evolutionsstufe darstellt und beschreibt, wie sich diese Organisationsform von anderen unterscheidet. Hier geht es vornehmlich um Konzepte der Selbstorganisation, Hierarchiefreiheit und innovativer Arten der Zusammenarbeit innerhalb der Organisation.
Zukunftsmusik? Bedingt! Auch wenn sich viele Unternehmen derzeit noch auf einer „niedrigeren“ Stufe der organisationalen Evolution befinden, konnte Laloux in seiner Forschung zahlreiche Unternehmen finden, die in seinen Augen das Konzept der Teal-Organisation bereits erfolgreich umgesetzt haben.
New Work und Generation Y
Kennzeichnend für Teal-Organisationen ist eine neue Form der Zusammenarbeit und zu dieser Frage habe in unter anderem Out of Office der (ehemaligen) Microsoft Mitarbeiter Elke Frank und Thorsten Hübschen (2015) und Thank God it’s Monday von Dark Horse Innovation (2014) gelesen.
In beiden Titeln geht es anhand der sehr konkreten Beispiele von Mircrosoft und Dark Horse darum, wie Arbeit mit Hilfe digitaler Tools und einem neuen Verständnis von (Zusammen)Arbeit neu organisiert werden kann. Ich habe hier viele Anregungen mitgenommen, wobei mir wirklich klar geworden ist, das Technik zwar vieles erleichtert aber die eigentliche Veränderung in den Köpfen von Führungskräften und Mitarbeitern stattfinden muss.
Ein Treiber für diese Veränderung mag in den verändertern Anforderungen jüngerer Mitarbeiter an das Arbeitsleben liegen. Deshalb habe ich als kurze Lektüre in den Herbstferien Philipp Riederles Wer wir sind und was wir wollen (2013) eingeschoben. Sicherlich kein großer Wurf aber ein interessanter Einblick in die Gedankenwelt Riederles und Teile seiner Altersgenossen – wenn auch nicht repräsentativ.
Klassiker der Online-Wirtschaft
Abgerundet wird die Liste der Fachbücher zu digitalen Themen durch zwei Klassiker: Chris Andersons The Long Tail (2006) und Nicholas Negropontes Being Digital (1995).
Anderson stellt sehr anschaulich dar, wie sich in der internetbasierten Wirtschaft die Schwerpunkte des kommerziellen Erfolgs verschieben. Es sind nicht mehr nur die Cash-Cows, die mit ihrem Löwenanteil am Umsatz zum Erfolg beitragen. Inzwischen ermöglichen es die veränderten Kostenstrukturen der Netzökonomie erstmals auch, das lange Ende des „Rattenschwanzes“, also die unzähligen Produkte, die nur einen kleinen Anteil am Umsatz haben, erfolgversprechend zu vermarkten. Die Ursachen liegen vor allem darin, dass die Kosten für Lagerung und Distribution dieser Produkte erheblich gesunken sind und dass sich die Kunden selbst an der Vermarktung beteiligen (Stichwort „Prosumer“). Die Thesen des Buches sind auch nach fast zehn Jahren immer noch hochaktuell und lassen sich heute durch die weiter fortgeschrittene Digitalisierung noch besser umsetzen.
Nochmals gut zehn Jahre älter sind Negropontes Thesen zum digitalen Leben und Arbeiten. Manches davon liest sich aus heutiger Perspektive etwas merkwürdig – insgesamt ist es aber beeindruckend, mit welcher Visionskraft der Autor zahlreiche Entwicklungen der letzten 20 Jahre sehr präzise antizipiert hat.
Wirtschaftsgeschichte des Ruhrgebiets
Auf den ersten Blick nicht ganz in die Reihe passen die von Lothar Gall geschrieben bzw. herausgegebenen Bücher Krupp – der Aufstieg eines Industrieimperiums (2000) und Krupp im 20. Jahrhundert (2002). Doch auch hier lassen sich viele Parallelen sehen und Zusammenhänge herstellen. So sind die Maßnahmen, die Krupp unternommen hat, um seine Mitarbeiter lebenslang an das Unternehmen zu binden, gar nicht so weit von dem entfernt, was große IT-Konzerne heute machen. Damals billige Werkswohnungen, eine Konsumanstalt und ein großes Krankenhaus, heute Sportplätze und kostenloses Essen oder Friseubesuche auf dem Firmengelände.
Ganz abgesehen davon, dass beide Bücher für mich eine sehr gelungene Verbindung aus Industriekultur, -geschichte und Heimatkunde darstellen, war es für mich ungeheuer spannend die Entwicklung eines Industriegiganten zu verfolgen und dabei auch nachlesen zu können, welche negativen Folgen die zu langsame Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen in den 80er und 90er Jahren hatte.
Und sonst? Ein paar nicht-berufliche Lektüren
Brave New Digital World?
Im Bereich der Belletristik – aber durchaus mit Bezug zu den eher Sachorientierten Themen – hat mich The Circle (2013) von Dave Eggers stark beeindruckt. Quasi als Antiutopie der schönen neuen Technikwelt zeichnet Eggers das Bild eines Konzerns der von seinen Mitarbeitern genau wie von seinen Kunden die totale Transparenz fordert. Nach dem Motto „Secrets are lies. Sharing is Caring. Privacy is theft.“ strebt der Konzern die Vollüberwachung der Welt an. Gar nicht so unrealistisch und irgendwie beängstigend. 2016 werde ich mir anschauen, ob und wie mit „The second machine Age“ und „The Zero Marginal-Cost Society“ hier optimistischere Gegenszenarien gezeichnet werden.
Bibliophiles aus den Hamptons
Schließlich habe ich 2015 mit der Trilogie um Albert Schmidt (About Schmidt (1996), Schmidt Delivered (2000) und Schmidt Steps Back (2012)) meine Liebe zu Louis Begley entdeckt. Von ihm habe ich dieses Jahr auch As Max Saw It (1994) und Shipwreck (2003) gelesen. An diesen Büchern überzeugt nicht nur der Inhalt sondern auch die extrem schöne und bibliophile Aufmachung mit dem unbeschnittenem Buchrücken, wunderschönem Textsatz und der bewussten Auswahl der Schrifttypen, der in den zu jedem Buch gehörenden „Notes on the Typeface“ Rechnung getragen wird – letzteres allerdings nur bei den gebundenen amerikanischen Originalausgaben in der Edition von Alfred Knopf.
Fazit
Soweit der Rückblick auf mein berufliches und privates Lesejahr. Der Platz hat hier nicht für alle Lektüren ausgereicht und manches hätte auch nicht in den thematischen Fokus gepasst.