Heute morgen bin ich beim Frühstück über diesen Artikel von Laura Wolfert gestolpert und mir wäre fast das Brötchen aus der Hand gefallen. Die Message in a Nutshell:

  • Ein Professor aus Yale hat einen aus drei Fragen bestehenden Intelligenztest entwickelt.
  • Nur 17 % der Probanden können alle drei Fragen richtig beantworten.
  • Wer zu diesen Personen gehört, ist hochintelligent.1


Klingt komisch – ist es auch!
Und schreit geradezu nach einer kritischen Betrachtung.

Worum geht’s?

Bei dem erwähnten Test handelt es sich um den Cognitive Reflection Test (CRT) von Shane Frederick (2005)2, der schon in zahlreichen Zeitungsmeldungen mit ähnlich reißerischen Überschriften verbreitet wurde. Kurzgefasst geht es um die Art der Informationsverarbeitung bei der menschlichen Entscheidungsfindung: entscheidet jemand eher nach Bauchgefühl oder nach einer kritischen Reflexion der Dinge. So etwas für sich selbst herauszufinden kann sehr hilfreich sein, z. B. für Recruiter:innen.

So weit, so gut. Aber ist jetzt jemand “hochintelligent”, weil hohe Testergebnisse für ein reflektiertes Entscheiden sprechen? Das suggerieren ja Überschrift und Teaser des Artikels.

Frederick untersucht in seinem Paper den Zusammenhang zwischen einem hohen CRT-Score und unterschiedlichen anderen psychologischen Konstrukten, beispielsweise dem sog. “Present Bias”, der Risikobereitschaft und eben auch der allgemeinen Intelligenz. Hier ermittelt er eine moderate Korrelation von .44 zwischen dem CRT und dem Wonderlic Personnel Test (WPT), einem in den USA häufig verwendeten allgemeinen Intelligenztest. Moderate Korrelation bedeutet, dass es einen mittelstarken Zusammenhang gibt, wer also hoch im CRT abschneidet, hat auch eher einen höheren IQ.3

Die Zahlen im Artikel müssten jeden sofort aufhorchen lassen

Aber lasst uns kurz aus statistischer Sicht auf den Artikel schauen: Intelligenz ist, wie die meisten anderen in der Natur vorkommenden Merkmale, normalverteilt, das heißt die Werte rund um den Mittelwert kommen sehr oft vor, sehr niedrige oder sehr hohe Werte eher selten. Die Verteilung lässt sich damit als Gauß’sche Glockenkurve darstellen.

Die durch IQ-Tests gemessene Intelligenz ist so normiert, dass sie einer Normalverteilung mit einem Mittelwert von 100 und einer Standardabweichung von 15 folgt. Wer mehr als zwei Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt ist, also einen IQ von 130 oder mehr hat, gilt nach allgemeiner Definition als hochbegabt.4

Mit einem Statistikprogramm wie R können wir uns das mit einer Zeile Code darstellen lassen:

xpnorm(130, mean=100, sd=15)

Dieser Befehl plottet die Dichtefunktion einer Normalverteilung mit einem Mittelwert (mean) von 100 und einer Standardabweichung (sd) von 15. Die Fläche unter der Kurve stellt alle Menschen dar, deren Intelligenz gemessen wird. Teilt man sie bei einem bestimmten IQ-Wert (auf der X-Achse) auf – im Beispiel bei 130 – gibt das Verhältnis der Fläche rechts davon (in grün) zur Gesamtfläche den Anteil der Menschen wieder, die einen IQ jenseits der 130 haben. Dieser ist ziemlich klein, nur rund 2.28% der Menschen haben einen IQ von 130 oder mehr und werden allgemein als hochbegabt bezeichnet – in der Sprache des Artikels “hochintelligent”.

Das klingt doch schon ganz anders und deutlich weniger als die im Artikel genannten 17%, die alle drei Testfragen richtig beantworten und daher angeblich “hochintelligent” seien.

Doch lasst uns mal umgekehr auf das Problem schauen: Welcher IQ-Wert wird denn von 17 % der Menschen erreicht oder überschritten?

Hierfür hält die Statistik die Quantilsfunktion bereit, die uns zu einem Prozentwert den entsprechenden IQ ausgibt. Als Befehl in R:

xqnorm(0.83, mean=100, sd=15)

Dieser Befehl plottet die Quartilsfunktion einer Normalverteilung mit einem Mittelwert von 100 und einer Standarabweichung von 15 und teilt die Fläche bei 83% (100% – 17%, denn es wird immer “von links” betrachtet).

Wir sehen, dass ein IQ von rund 114 von 17% der Menschen erreicht oder überschritten wird. Das z = 0.95 in der Grafik gibt übrigens an, dass dieser Wert weniger als eine Standardabweichung vom Mittelwert entfernt ist und damit noch in einem Bereich liegt, den man als “normal intelligent” bezeichnet.

Fazit

Der CRT von Shane Frederick ist ein interessanter Test, der einiges über das Entscheidungsverhalten von Menschen aussagt und aufschlussreiche Korrelationen zu anderen Konstrukten im Kontext der Entscheidungsfindung aufweist. Wer zu den rund 17 % gehört, die alle drei Fragen richtig beantworten können (dieser Prozentsatz bezieht sich auf die Ursprungsstudie von 2005 und ist der Mittelwert aller Einzelstudien an zehn US-Universitäten, die Durchschnittswerte je Hochschule schwanken zwischen 5% in Toledo und 48% am MIT), geht Entscheidungen vermutlich sehr reflektiert an und verlässt sich eher nicht auf Intuition und Bauchgefühl.

Daraus die Aussage abzuleiten, dass diese Personen “hochintelligent” seien, ist sowohl statistisch als auch psychologisch grober Unfung und reine Clickbait!


  1. Das ist die Kernaussage des Inhalts vor der Paywall, weiter konnte ich leider nicht lesen. Ob der Artikel nach der Schranke meine Kommentare bereits berücksichtigt, kann ich nicht beurteilen.↩︎

  2. https://doi.org/10.1257/089533005775196732↩︎

  3. Eine kurze und anschauliche Darstellung zum Thema Korrelation findet ihr bei Nguyen-Kim. M. T. (2021) Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit, S. 62–67.↩︎

  4. vgl. dazu Rost, D. (2009) Intelligenz, S. 152 oder Stern, E. & Neubauer, A. (2013) Intelligenz, S. 59↩︎

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